Von Fahrrädern, Kühen und Bananen
Noch vor einigen Monaten konnte Gilbert keine Fahrräder reparieren. Er hatte auch sonst nicht viel zu tun, trieb sich auf den Straßen herum, bettelnd und immer auf der Suche nach Gelegenheitsjobs. „Leider hatte ich nicht die Möglichkeit, in die Schule zu gehen“, bedauert der 18-Jährige. „Ich konnte mir auch kein Gewand kaufen, da ich gar kein Geld hatte.“ Doch im Rahmen eines Kindernothilfe-Projekts nahm der Jugendliche – so wie hunderte andere arbeitslose Schulabbrecher in seiner Gemeinde im ländlichen Süden Ruandas – an so genannten Community Based Trainings teil. An Schulungen für Jugendliche, die sich an den lokalen Bedürfnissen in den jeweiligen Gemeinden orientieren. Soll heißen: Die Dorfbewohner überlegen und definieren gemeinsam mit den Projektverantwortlichen, welche Berufsgruppen in ihrer Region fehlen und besonders nachgefragt sind. Friseure, Schneider, Bäcker oder eben Fahrradmechaniker. Ein solches Training ist oft die einzige Chance für die Schulabbrecher, jemals gut für sich selbst und ihre Familien sorgen zu können.
Gilbert lernte, Fahrräder zu reparieren - die wichtigsten Transport- und Fortbewegungsmittel in Ruanda. Mittlerweile betreibt er mit vier anderen Jugendlichen zwischen 18 und 20 Jahren einen eigenen Stand auf dem Marktplatz. Jeder hat sich sein eigenes Werkzeug angeschafft, hat eigene Ersatzteile und repariert auch – bei Bedarf – andernorts. Doch beim Marktstand, das wissen auch die Bewohner der Gemeinde, ist immer jemand anzutreffen, der einen noch so lädierten Drahtesel wieder fahrtüchtig machen kann. Seine neue, farbenfrohe Hose, die er mit dem selbstverdienten Geld angeschafft hat, präsentiert Gilbert jedenfalls mit großem Stolz.
Hoffnung für Schulabbrecher
Verbesserungen für alle
Mit Getreidesaft zum Stromanschluss
Nicht mit Milch, sondern mit Getreidesaft verdient Francoise ihr Geld. Die Grundlage ihrer Geschäftsidee lagert prominent inmitten ihres neuen, Lehm-verputzten Hauses. Bis oben gefüllt ist der Getreidesack – mit getrockneter Sorghumhirse. Gepresst ergibt die Hirse einen gerne getrunkenen Saft, den Francoise an Markttagen verkauft.
Aus fünf Bananenstauden wurden 800
Von neuen Möbeln kann Mediatrice bereits berichten. Stolz sitzt sie auf den Pölstern ihrer neuen Sitzbank im Eingangsbereich des kleinen Hauses mit der grünen Tür. Die Selbsthilfegruppe habe ihr Leben verändert, erzählt die 46-Jährige. Woran zuerst niemand so recht glauben wollte, am wenigsten ihr Ehemann. „Wir sind nicht mehr die jüngsten, haben unser ganzes Leben in Armut gelebt. Da ist es schwer zu glauben, dass sich etwas ändern könnte.“ Aber in Wirklichkeit, und das habe die Arbeit in der Selbsthilfegruppe ihr gezeigt, „braucht dir niemand Geld zu geben. Das Geld liegt in deinem Können. Du muss deine Stärken nur einsetzen“, spricht Mediatrice ein Plädoyer für die Hilfe zur Selbsthilfe.
Begonnen hat alles mit fünf Bananenpflanzen vor ihrem Häuschen und einigen Schulungen, wie Bananen am besten zu kultivieren sind. Groß und gesund wuchern mittlerweile 800 Stauden in Mediatrices Garten, liebevoll gepflegt von ihr und ihrem Ehemann, der bald selbst gesehen hat, wie sich auch das eigene Leben durch die Treffen der Frauen in den Gruppen verändern kann. Zuletzt wurde ihr Feld zur führenden Bananenplantage der gesamten Region ausgezeichnet, erzählt die achtfache Mutter. Ihr Mann unterstütze sie sehr, sei auch immer wieder in der gesamten Region unterwegs, um Schulungen zu Bananenanbau abzuhalten. Und ihre Bananensetzlinge- und samen werden von der ganzen Gemeinde gerne gekauft. Für die eigene Ernte müsse man inzwischen sogar externe Feldarbeiter beschäftigen, so umfangreich sei diese inzwischen.
Mit dem erwirtschafteten Geld aus dem Verkauf der reifen Bananen konnte die Familie ihr viel zu kleines Haus erst erweitern, dann ans Stromnetz anschließen. Mittlerweile gehen alle der acht Kinder in die Schule, ihr ältester Sohn habe bereits die Universität abgeschlossen, berichtet Mediatrice stolz. „Wenn alle Kinder einen Uni-Abschluss haben, werden wir unser Haus richtig schön einrichten“, so ihr Traum. Priorität aber, und das habe sie im Laufe ihres Engagements bei der Selbsthilfegruppe gelernt, hat eindeutig die Schulbildung ihrer Kinder.
Von Julia Drazdil-Eder