Uganda: Aufschwung am Äquator
Auf in die Selbständigkeit
Unter einer Plane sitzen wir im Kreis mit 20 Frauen. Frauen, die zu den Ärmsten der Armen gehörten. Mütter, die nicht wussten, wie sie ihre Kinder ernähren oder die Schulgebühren für sie aufbringen sollten. Menschen, die deprimiert zu Hause saßen und deren Potenzial und Selbstbewusstsein langsam aber sicher zwischen schreienden Kindern und trinkendem Ehemann versickerten. Hier kommen Frauen zusammen, die ihr Leben in die Hand genommen haben; Mütter, die für ihre Kinder und Familie ihre Zukunft verbessern. Die Frauen der Selbsthilfegruppen in Sibanga. Unterstützt von der Kindernothilfe-Partnerorganisation, der Diözese von Mbale, treffen sie sich seit zweieinhalb Jahren. Gemeinsam sparen sie und geben sich gegenseitig Kredite. Gemeinsam überlegen sie, wie sie ihre Familien und ihr Dorf voranbringen können. Aber vielleicht am aller wichtigsten: Gegenseitig geben sie sich wieder Selbstbewusstsein und die Kraft, ihre Probleme anzugehen.
„Ja, aber die weise ich alle ab.“
"Bald seid ihr wie ich!"
Was war geschehen? Katie wurde Teil des Berufsbildungsprogramms, das der Kindernothilfe-Partner Bungokho Rural Development Centre (BRDC) vorantreibt. Dieses richtet sich an Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 24 Jahren – vor allem an Schulabbrecher und junge Mütter. Das Besondere dabei: Es bringt nicht nur etwas für die jungen Menschen selbst, sondern bereichert die gesamte Gemeinschaft, denn die Ausbildungen richten sich danach, welche Dienstleistungen in der Region gerade benötigt werden.
In diesem Jahr werden nach Bedarfsanalyse zwei Ausbildungen angeboten: Schneider- und Friseurhandwerk. Ein Komitee, unter anderem bestehend aus sechs Frauen der örtlichen Kindernothilfe-Selbsthilfegruppen, hat Katie und 29 weitere junge Menschen aus der Region anhand verschiedener Kriterien ausgewählt und ihnen angeboten, an dem Programm teilzunehmen. Eine der wichtigsten Voraussetzungen: Einsatz. Denn geschenkt bekommen die jungen Menschen ihre Ausbildung nicht. BRDC kommt nur für 80 Prozent der Ausbildungskosten auf, den Rest müssen sie selbst tragen. „Als sie zu mir kamen und die Idee vorstellten, fand ich den Plan gut“, sagt Katie.
Allerdings stellte sie der Vorschlag vor Probleme: „Woher soll ich das Geld zum Sparen bekommen? Ich habe doch keins!“ Die zweite Aufgabe des Komitees bestand somit darin, Katie aus ihrer Lethargie zu locken und die Zuversicht in ihr zu wecken: „‚Dein Leben ist wertvoll!‘, sagten sie zu mir. ‚Arbeite erst einmal etwas Einfaches, hilf zum Beispiel auf Baustellen, und spare dir deinen Anteil zusammen.‘“ Sie dachte über das Angebot nach, realisierte, dass es genug Bedarf für eine Schneiderei in ihrem Dorf gab, und begann, sich die Ausbildungskosten mit Erde-Schaufeln zu verdienen. Nach nicht allzu langer Zeit hatte sie das Geld zusammen, um die viermonatige Ausbildung zu beginnen.
In dieser Zeit lernte sie nicht nur, wie sie Kleidung ausbessert und eigene Teile schneidert, sondern auch, wie man in der (Geschäfts-)Welt zurechtkommt. Dies bedeutet einerseits, praktische Kenntnisse, wie zum Beispiel Buchführung, zu lernen; andererseits beinhaltete die Ausbildung auch lebenspraktische Themen. Letztere sind für James Ongu, Landeskoordinator der Kindernothilfe in Uganda, besonders wichtig; vor allem junge Frauen dazu zu motivieren, sich in einer Beziehung eine gewisse berufliche Unabhängigkeit zu bewahren. „Erfolgreiche Frauen sind attraktiv für Männer, denn sie bringen Geld mit in die Beziehung. Allzu oft werden sie aber aus den Jobs gerissen, damit sie sich anschließend auf Haushalt und Familie konzentrieren können. Wir möchten, dass sie an ihre eigene Zukunft und ihr eigenes Überleben denken: ‚Was ist, wenn der Mann nicht mehr da sein sollte?‘“, so Ongu.
In den vergangenen Jahren wurden in Katies Gemeinde insgesamt 85 junge Menschen ausgebildet, davon 60 Mädchen und Frauen. Katie teilt ihre Geschichte regelmäßig mit den Folge-Jahrgängen: „Ich habe gelitten und hatte mein Leben schon aufgegeben. Jetzt bin ich selbstständig.“ Sie möchte ihnen die Hoffnung geben, die sie selbst nicht mehr hatte: „Bald seid ihr wie ich!“, sagt sie den Neuen.
Von Bananen und Biogas
Wir merken schnell, welche Kraft in dieser Frau steckt, denn was wir auf ihrer Farm sehen, ist beeindruckend: Rund um ihr Haus, in dem sie mit ihrer sechsköpfigen Familie wohnt, hält die Mutter von vier Kindern Hühner, Schweine, Ziegen und eine Kuh. Letztere betreibt mit ihren Hinterlassenschaften Marthas neueste Errungenschaft: die hauseigene Biogas-Anlage, die sie für das kleine Vermögen von umgerechnet knapp 600 Euro hat installieren lassen.
Wir verlassen das Grundstück und werden über ihre drei Hektar Land geführt, über Kaffeefelder und die Bananenplantage. Mit allem, was sie anbaut, macht sie pro Monat 1.000.000 Uganda-Schilling, knapp 230 Euro, Gewinn. Damit verdient sie zweieinhalb Mal so viel wie ein Lehrer. So versorgt sie neben ihrer Familie auch noch die Schwiegereltern und einen Angestellten. Insgesamt neun Leute werden durch Marthas Hof dauerhaft satt. Alles mit dem Know-how aus den Farmschulen. „Ich kehre immer wieder zurück, damit die Schüler dort von mir lernen können.“ Ein echtes Vorbild.
Autor: Ludwig Grunewald