Kein Kind verlässt ein Zuhause, in dem es sich wohlfühlt
Seit 1998 kümmert sich das „Tikondane Care for Children on and off the Streets“, wie das Projekt offiziell heißt, in den Straßen der malawischen Hauptstadt Lilongwe um Kinder, denen das Leben auf der Straße als der einzige Ausweg erscheint. Das Ziel: die Mädchen und Buben wieder in die Gesellschaft zu integrieren. 600 Kinder betreut das Projekt, das die Missionary Sisters of Our Lady in Africa 1997 gegründet haben, jedes Jahr. Die Ältesten sind um die 16, die Jüngsten gerade einmal fünf Jahre alt. Um manche Schützlinge kümmert sich Tikondane viele Jahre lang – Reintegration ist eine Aufgabe, die viel Zeit und Geduld erfordert.
Von der Geschichte zur Lebensrealität
Lesestunde in der Bibliothek des Projekts Tikondane. Mit verteilten Rollen lesen die Betreuerin und eine Gruppe von Mädchen und Buben gemeinsam eine Geschichte. Sie handelt von Kindern, die daheim nicht mithelfen und aufsässig sind sowie von Eltern, die schreien und schlagen. Als da Kapitel abgeschlossen ist, entspinnt sich eine Diskussion: Warum ist die Situation in der Geschichte so eskaliert? Was hätten alle Beteiligten besser machen können, damit es erst gar nicht so weit kommt? Die Kinder sind nachdenklich, jedes von ihnen kann sich in die Situation hineinversetzen. Denn sie alle haben solche Situationen mehr als einmal erlebt und sind deshalb schließlich von zu Hause weggelaufen.
Mädchen auf der Straße drohen Gruppenvergewaltigungen
Sozialer Absturz: Vom großen Haus in eine Armenhütte.
Von einem Tag auf den anderen musste die Familie ihre Sachen packen und aus einem großen Haus in einer guten Gegend in eine Hütte im Slum ziehen. Während Memory in Depressionen versank, wollten ihre beiden ältesten Töchter nur eines: ihr altes Leben zurückhaben. „Wir mochten die neue Gegend nicht und wollten zu unseren Freunden zurück“, erinnert sich die heute 18-jährige Marian an den sonnigen Tag, an dem sie mit ihrer Schwester in ihr altes Viertel ging. „Wir dachten, es sei besser, dort auf der Straße als hier in einer Bruchbude zu leben.“ Wenn man sieht, wie sie wohnen, kann man die Mädchen verstehen. Die viel zu enge Hütte riecht muffig und ist düster, und es gibt weder Strom noch fließend Wasser. Um den Schimmel und den abblätternden Putz zu verdecken, sind die Wände mit Vorhängen aus Altkleidersammlungen verhängt.
Nicht schlagen und schreien, sondern zuhören und Verständnis haben
Auch Memory brauchte Hilfe, um sich mit der neuen Lage zu arrangieren. Cosmas Makala: „Wir besuchten sie und sagten ihr, dass sie sich zusammenreißen und sich um ihre Kinder kümmern muss. Eine Sozialarbeiterin sprach mit ihr, half ihr, die eigene Depression zu überwinden, und erklärte ihr, was in ihren Töchtern vorgeht.“ Die befanden sich nicht nur in einer schwierigen Situation, sondern auch noch mitten in der Pubertät. Sie waren aufsässig und rebellisch, akzeptierten keine Autorität und hatten eine sehr niedrige Frustrationstoleranz.
„Zum Elternsein gehört mehr, als Essen auf den Tisch zu bringen“
„Tikondane hat mich vor einem schlimmen Schicksal bewahrt“
Susan schüttelt sich kurz, fast so, als wolle sie einen bösen Gedanken loswerden. „Ohne die Hilfe wäre ich auf der Straße geblieben und …“, sie bricht ab, holt tief Luft und sagt: „Tikondane hat mich vor einem schlimmen Schicksal bewahrt.“