Somaliland: An meinen Händen klebte jahrelang Blut
Ohne Schulbildung, ohne Mann, der die Familie versorgt, mit sieben Kindern – ein Sohn hat eine schwere Behinderung – musste Khadra zusehen, wie sie alle durchbringt. Sie wurde Beschneiderin für Mädchen und Frauen. Dieser Beruf hatte den Vorteil, dass sie dazu keine teuren Instrumente brauchte: Eine Rasierklinge, Nadel und Faden, und fertig war die Ausstattung. Auch ärztliche Vorbildungen für diese grausame Arbeit wurden nicht verlangt – seit Jahrzehnten geben Beschneiderinnen ihr Wissen an andere Frauen weiter.
Genitalverstümmelung ist eine Menschenrechtsverletzung
Somaliland hat mit 98 Prozent eine der weltweit höchsten Raten der weiblichen Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation – FGM). Diese archaische Tradition soll dafür sorgen, dass Mädchen „rein“ bleiben, bis sie verheiratet werden. Die Vereinten Nationen haben FGM bereits 1992 als Menschenrechtsverletzung eingestuft. Im Februar 2018 erließ das Ministerium für religiöse Angelegenheiten in Somaliland ein Edikt, das die schlimmste Form weiblicher Genitalverstümmelung verbietet. Man unterscheidet drei Formen: Typ 1 und 2 sehen vor, dass Teile der Klitoris und der Schamlippen abgeschnitten werden. Bei Typ 3 werden die Schamlippen und die Klitoris komplett abgeschnitten und bis auf eine kleine Öffnung zugenäht. Der Erlass richtete sich nur gegen die letzte Form. Zu einem Gesetz gegen FGM insgesamt konnte sich das Ministerium nicht entschließen. Fraueninitiativen und alle, die sich für Menschenrechte im Land einsetzen, kämpfen weiter für die Abschaffung und Bestrafung jeglicher Genitalverstümmelung, denn sie ist in jedem Fall eine Menschenrechtsverletzung.
„Ich habe das so gemacht, wie es schon immer gemacht wurde“, sagt Khadra. „Man hat die Kinder einfach rausgepickt und sie dann verstümmelt. Das war für uns normal. Es gab sogar Mädchen, die von sich aus zu mir kamen und sagten: ‚Ich will genauso beschnitten werden wie meine beste Freundin.‘ Sie dachten, dieser Eingriff sei etwas Gutes, und sie wollten dazugehören. Es gab aber auch Mädchen, die haben Angst bekommen und sind weggerannt.“
"Ich habe einen Entschluss gefasst: Ich höre auf!"
Die Familie beschuldigte Khadra, sie hätte etwas falsch gemacht. Der Beschneiderin ging es sehr schlecht, nächtelang konnte sie nicht mehr richtig schlafen. Damals dachte sie zum ersten Mal ans Aufhören: „Ich wollte so nicht mehr weitermachen. An meinen Händen klebte jahrelang Blut“, sagt die 45-Jährige leise, „ich habe schlimme Sachen angerichtet und Mädchen großes Leid zugefügt. Viele haben wie wahnsinnig geschrien, sind fast verblutet oder bekamen schwere Infektionen. Ich habe nachgedacht, was ich tun soll.“ Sie hebt den Kopf und sagt mit fester Stimme: „Schließlich habe ich den Entschluss gefasst: Ich höre auf! “
Khadra machte sich als Näherin selbstständig
Sie und andere Beschneiderinnen bekamen Besuch von der Organisation Candlelight. Der Kindernothilfe-Partner kämpft seit 2013 in Somalia gegen FGM. Die Mitarbeitenden erklärten den Frauen die medizinischen Zusammenhänge von der grausamen Verstümmelung und den lebenslangen Leiden der Betroffenen und überzeugten sie, ihren Beruf aufzugeben. Und sie halfen ihnen beruflich auf die Beine. Die Frauen waren ja jetzt ohne Arbeit und brauchten dringend eine Einnahmequelle. Candlelight sorgte für Unterstützung und Fortbildungen. Khadra bekam eine Nähmaschine, mit der sie sich selbstständig machen konnte.
Inzwischen kann sie sehr gut von ihrer Arbeit als Näherin leben. Mit dem, was von ihren Einnahmen übrig bleibt, ist sie auch noch in den Holzkohlehandel eingestiegen. Und sie besucht sogar eine Schule. „Mir geht es viel besser als vorher. Ich kann mir gute Lebensmittel leisten, ich bin jetzt von Gott gesegnet. Mit Genitalverstümmelung will ich nie mehr etwas zu tun haben. Ich war vorher dumm und unwissend. Durch Candelight weiß ich, was ich anderen angetan habe, und gebe mein Wissen weiter.“
Aus der Beschneiderin wurde eine Botschafterin gegen die Genitalverstümmelung
Fotos: Mustafa Saeed, Fairpicture