Wie Kinder auf Äthiopiens Straße überleben
Kaido, dieses Mädchen aus dem Armenviertel der Stadt Dire Dawa in Äthiopien, weiß gar nicht, wie hübsch sie ist. Denn sie hat gar keinen Spiegel zuhause. Aber sie weiß, dass ihre dunklen, großen Augen strahlen. Sie ist mittlerweile ein Kind im Glück, eine Schülerin sein zu dürfen. Noch vor drei Jahren lebte sie auf der Straße im Dreck, heute sagt das ehemalige Straßenkind mit gerade geschafftem Volksschulabschluss: „Life is good.“
Das Leben ist gut? Was für ein Satz für die inzwischen 16-Jährige. 2017 war es Kaido, die uns ihre Stadt zeigte: den Markt, auf dem ihre Mutter für ein paar Birr Zwiebeln verkaufte, den nackten Beton an der lauten, löchrigen Straße, auf dem sie geschlafen hatte, bevor die Helfer sie fanden, dreckig und hoffnungslos. Das karge Zimmerchen den leeren Fensterhöhlen, in dem sie später, als man sie gewaschen hatte, „wohnen“ durfte, kein Wasser zwar, aber ein Zuhause.
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Wie schützt man sich vor Corona, wenn es kein sauberes Wasser gibt?
Kaido hat bis heute nur diese leckende Leitung im Tal. Für den kleinen Abebe, damals acht, war das Stück Seife das Größte in der „Blauen Schule“, dieser Einrichtung, in dem äthiopische Kinder lernen dürfen, die eigentlich das Geld dafür nicht haben. Sie lernten als erstes, dass man sich vor dem Essen die Hände wäscht – wenn es denn etwas zu essen gibt. Denn die Straßenkinder, Nesanet, Molitu oder Hawi, hatten ja beides nicht, die hatten nur die alte Müllkippe und das Abwasser der Limonadenfabrik am ausgetrockneten Fluss.
Wie geht das mit Corona? Es geht nicht. Kaido und auch Bayesh, die beiden Mädchen, die im Videotelefonat eigentlich immerzu lächeln, sie sagen, sie sind einsam geworden, sie vermissen ihre Freunde und vor allem haben sie „große Angst“ vor Covid. „Sie sind sich der Gefahr sehr bewusst“, sagt Dereje vom Kindernothilfe-Partner FSCE, dem das Handy gehört. Aber was soll man ihnen von Hygiene erzählen, im April haben sie angefangen bei den Hilfsorganisationen, den Kindern etwas zu essen zu geben. Und ihnen zu erklären, wie man sich irgendwie schützt vor dem Virus.
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Kinder von der Straße holen
Gerade die auf der Straße werden angefeindet, sagt Dereje, mehr noch als sonst. Hilfe zum Überleben ist es jetzt, was seine Kollegen machen. Zum Glück kennen sie die Kinder aus den Projekten. Fast 1.000 Heranwachsende, so viele Mädchen unter ihnen, haben Kindernothilfe und FCDE in diesem Sommer erreicht, trotz allem. In die Schutzhäuser und Zentren durften sie sie nicht mehr holen, ein halbes Jahr fast konnten sie nicht mehr arbeiten wie sonst: Kinder auffangen, sie überhaupt erst finden am Busbahnhof und in der Gosse, an ihren Schlafplätzen zwischen Ladenzeilen, wo sie schlafen wie wilde Hunde. Sie in die Schule schicken, sie vor Gewalt und Missbrauch schützen. Dabei, sagt Dereje, sind die Kinder doch „besonders verletzlich“! Sie besuchen sie nun häufiger in den Familien – wenn es überhaupt eine Familie gibt.
Bayesh arbeitet nachts, tagsüber geht sie in die Schule
Die Schulen waren mehr als ein halbes Jahr geschlossen, und trotzdem haben Kaido und Bayesh ihren Abschluss geschafft. Achte Klasse, letzte Woche waren die Prüfungen, sie sind beide Zweitbeste geworden. Man muss sich das mal vorstellen: zwei junge Mädchen, die überhaupt nur in die Schule konnten, weil die Kindernothilfe sie unterstützte, Kaido war schon zehn, als sie zum ersten Mal hinging. Und Bayesh, die macht es noch immer so wie damals, als sie im Gespräch weinen musste, auch weil sie so müde war: Sie läuft zur Schule, eine Stunde lang, weil sie das Geld für ein Tuk-Tuk nicht hat, sie versorgt ihre jüngeren Geschwister, sie kocht – und dann arbeitet sie.
Bis nachts um zwei hat Bayesh, inzwischen 17, ihrer Mutter geholfen, Kaffeebohnen zu sortieren, die guten für den Export, die schlechten für die Einheimischen – eine Aschenputtel-Geschichte. Nur statt des Prinzen kam Corona, die Firma machte zu, die Mutter verlor den Job. Jetzt ist sie Tagelöhnerin, und sie geht putzen, Bayesh hilft, für 200 Birr in der Woche – vier Euro. Und sie will trotzdem weiter zur Schule gehen, in ihrer Freizeit sozusagen, denn sie hat einen Traum: Sie will Ärztin werden.
Gerade die auf der Straße werden angefeindet, sagt Dereje, mehr noch als sonst. Hilfe zum Überleben ist es jetzt, was seine Kollegen machen. Zum Glück kennen sie die Kinder aus den Projekten. Fast 1.000 Heranwachsende, so viele Mädchen unter ihnen, haben Kindernothilfe und FCDE in diesem Sommer erreicht, trotz allem. In die Schutzhäuser und Zentren durften sie sie nicht mehr holen, ein halbes Jahr fast konnten sie nicht mehr arbeiten wie sonst: Kinder auffangen, sie überhaupt erst finden am Busbahnhof und in der Gosse, an ihren Schlafplätzen zwischen Ladenzeilen, wo sie schlafen wie wilde Hunde. Sie in die Schule schicken, sie vor Gewalt und Missbrauch schützen. Dabei, sagt Dereje, sind die Kinder doch „besonders verletzlich“! Sie besuchen sie nun häufiger in den Familien – wenn es überhaupt eine Familie gibt.
Bayesh arbeitet nachts, tagsüber geht sie in die Schule
Die Schulen waren mehr als ein halbes Jahr geschlossen, und trotzdem haben Kaido und Bayesh ihren Abschluss geschafft. Achte Klasse, letzte Woche waren die Prüfungen, sie sind beide Zweitbeste geworden. Man muss sich das mal vorstellen: zwei junge Mädchen, die überhaupt nur in die Schule konnten, weil die Kindernothilfe sie unterstützte, Kaido war schon zehn, als sie zum ersten Mal hinging. Und Bayesh, die macht es noch immer so wie damals, als sie im Gespräch weinen musste, auch weil sie so müde war: Sie läuft zur Schule, eine Stunde lang, weil sie das Geld für ein Tuk-Tuk nicht hat, sie versorgt ihre jüngeren Geschwister, sie kocht – und dann arbeitet sie.
Bis nachts um zwei hat Bayesh, inzwischen 17, ihrer Mutter geholfen, Kaffeebohnen zu sortieren, die guten für den Export, die schlechten für die Einheimischen – eine Aschenputtel-Geschichte. Nur statt des Prinzen kam Corona, die Firma machte zu, die Mutter verlor den Job. Jetzt ist sie Tagelöhnerin, und sie geht putzen, Bayesh hilft, für 200 Birr in der Woche – vier Euro. Und sie will trotzdem weiter zur Schule gehen, in ihrer Freizeit sozusagen, denn sie hat einen Traum: Sie will Ärztin werden.
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Kaido wünscht sich Papier zum Malen
Das möchte Kaido auch. Oder Zeichnerin, das eigentlich lieber. So haben wir sie in Erinnerung, immer mit Papier unterm Arm, sie malte schöne, große Frauen in langen Kleidern. Sie hat sie auch diesmal mitgebracht, drückt die Bilder gegen die Handykamera, noch eines und noch eines. Auf anderen Blättern ist Schrift zu erkennen, ein Schulheft? Eine Bitte hat Kaido noch, als das Gespräch schon fast zu Ende ist, sie muss das unbedingt loswerden, obwohl jetzt eigentlich Bayesh dran ist. „Sie sagt“, übersetzt Dereje vom Aramäischen ins Englische, „sie braucht Stifte und Papier, auf dem sie zeichnen kann. Damit sie nicht immer ihr Schulmaterial dafür nehmen muss.“
Autor: Annika Fischer, WAZ
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